Über das Nichtzustandekommen eines Lesefestivals

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Von Nina Petrick

Mehr als vier Jahre ist es inzwischen her, dass meine Freundin, die Autorin Susanne Fülscher, mich fragte, ob ich mich zusammen mit ihr, dem Jugendbuchautor Daniel Höra und Frank Sommer von der Agentur für Leseförderung „Eventilator“ für leseschwache Kinder und Jugendliche engagieren würde. Begeistert sagte ich zu. Unser Vorbild war u.a. das Lesefestival „Hamburger Vorlesevergügen“ unter der Schirmherrschaft von Andreas Schlüter, präsentiert vom Hamburger Verkehrsverbund und dem Arbeitskreis Hamburger Wohnungsbaugnossenschaften.

Da es in Berlin nicht einfach war, Sponsoren zu finden, und wir zudem auf einige Widerstände stießen, kamen wir auf die Idee einen Verein zu gründen: Berlinerlesen e.V. Das Logo gestaltete die Illustratorin und Autorin Tanja Székessy, die uns auch in der Vereinsarbeit tatkräftig unterstützte. Für unsere Idee konnten wir auch die Berliner Lektorin und Leseagentin Heike Brillmann-Ede und Martina Freise von der Berliner Commerzbank gewinnen.

Das war unser Konzept von Berlinerlesen e.V.:
Berlin ist eine Stadt voller AutorInnen, GrafikerInnen, IllustratorInnen und Verlage, die Geschichten und Ereignisse in Texte, Bilder und Zeichnungen umsetzen. Berlin ist auch eine Stadt, in der sich Unternehmen für die Lese- und Bildungsförderung von Kindern und Jugendlichen engagieren. In etlichen Familien stehen Kindern und Jugendlichen nicht die Lesemedien zur Verfügung, die sie für die Entwicklung eines ausreichenden Lesevermögens und der Freude am Lesen benötigen. Unser Ziel war es, im Rahmen des neuen Lesefestivals BerlinerLeseTage mithilfe der Literaturschaffenden, KünstlerInnen und Unternehmen neben den Gern- und Viel-LeserInnen auch eine weitere Zielgruppe zu erreichen: leseferne Kinder und Jugendliche. Bücher sollten an Orten vorgestellt werden, zu denen Kinder/Jugendliche sonst nicht unbedingt Zugang haben: in den Betriebsstätten der BVG, in Fabrikations- oder Lagerhallen, in Theatern, in der Oper, an der Uni, in großen Wohnungen der Wohnungsbaugesellschaften, im Wasserwerk, in Supermärkten, auf Friedhöfen, auf einem Fahrgastschiff der Spree, etc. Unternehmen, die uns unterstützen „sollten/wollten“, bekämen die Möglichkeit, sich in ihren Büro-, Produktions- oder Logistikräumen zu präsentieren. Sie hätten Kindern/Jugendlichen einen spannenden Blick „hinter die Kulissen“ ermöglicht.

Zielgruppen waren Kita-Kinder ab fünf Jahren und Schüler, pro Veranstaltung eine bis drei Klassen. Unser Zeitrahmen sah jährlich eine Woche kurz vor Beginn der Sommerferien vor. Geplant waren etwa 40 Veranstaltungstermine und eine zentrale Eröffnungsveranstaltung: neben Lesungen auch Schreibwerkstätten, Lesungen und Poetry-Slam-Sessions. Die Veranstaltungsorte sollten im gesamten Stadtgebiet verteilt sein. Die Reederei Riedel hatte bereits ihre Beteiligung an dem Festival zugesagt und uns eines ihrer Spree-Blick-Schiffe zur Verfügung gestellt. Berliner Unternehmen hätten als engagierte Partner für Lesekultur, Leseförderung, Bildung und Beruf wahrgenommen werden können. Sie hätten deutlich machen können, dass die Sprache und ihre Vielfalt für die persönliche Entwicklung von entscheidender Bedeutung ist.

Das wunderbare Logo, entworfen von Tanja Székessy

Für die Finanzierung versuchten wir als eingetragener Verein, durch Sponsoring von Firmen, Privatpersonen und Lotterien Finanzmittel in unterschiedlichen Beitragssummen zu akquirieren. Auch Sachmittel wie die Bereitstellung von Veranstaltungsorten wurden von uns angefragt. Budgetiert war das Ganze auf 60 000 Euro. Wir verschickten unser Konzept, riefen die Unternehmensvertreter an und trafen uns – dabei stießen wir zunächst durchaus auf Zustimmung und Begeisterung. Aber schnell kristallisierte sich heraus: Berlin ist nicht Hamburg. Hier existiert leider keine seit Generationen bestehende Tradition, sich ganz selbstverständlich als Förderer/ Unterstützer/Mäzen für Kunst, Musik und Literatur zu sehen.

Obwohl in Berlin durchaus auch Kapitel vorhanden ist, wohlhabende Familien und UnternehmerInnen leben, es den Lions Club oder die Rotarys gibt, luxuriöse Juweliere, Auktionshäuser, Autohäuser etc. vertreten sind, Menschen Mitglieder in elitären Golf- und Tennisclubs sind und für ihre Mitgliedschaft, Urlaube oder auch nur für ein Essen Unsummen ausgeben, ist es ihnen offenbar nicht wichtig genug, Lesungen für „bildungsferne (und auch andere) Kinder“ zu unterstützen. Natürlich trafen wir immer wieder auf Einzelne, die das sehr gerne wollten. Aber viele andere sahen Lesungen oder Workshops mit Kindern/Jugendlichen eher als „etwas Flüchtiges“ an. „Da kaufe ich mir lieber ein Bild und hänge es an die Wand“, verriet mir ein Banker. Auch ein Konzert würde man lieber unterstützen, das sei ein gemeinsames Erlebnis, das man höher schätze als Lesungen, es bleibe auch länger in Erinnerung, raunte mir eine Chefärztin zu. Die Firma Wall (die über die gesamte Stadt verteilt Werbeflächen aufstellt), wollte uns kostenlos eine (!) Werbefläche „schenken“, aber wir brauchten zu diesem Zeitpunkt eher finanzielle Hilfe.

Manche Unternehmen waren absolut nicht bereit, uns zu unterstützen, sobald sie erfuhren, dass die Konkurrenz, d.h. auch Firma XY, ebenfalls zugesagt hatte. Einige stellten Bedingungen, nach dem Motto: Entweder die oder wir! Andere wiederum sagten, sie würden sich nur beteiligen, wenn Firma XY auch mit von der Partie wäre. Regelrechte Empörung machte sich bei einigen der zukünftigen Sponsoren breit, als sie erfuhren, dass der Autokonzern YX uns eine hohe Summe zur Verfügung stellen wollte. Dieser Konzern habe eine finstere Vergangenheit (z.B. Zwangsarbeiter im Dritten Reich) und sei politisch nicht korrekt, und man würde sofort von der geplanten Unterstützung wieder absehen. Stromanbieter seien ein Widerspruch zur gewünschten „grünen Haltung“. Unverständnis kochte auch immer wieder hoch, warum man „die anderen“ überhaupt (und dann auch noch zuerst) gefragt habe und nicht sie!

Wir kamen nicht weiter, kassierten Absagen, fuhren immer wieder quer durch die Stadt, von Schönberg nach Reinickendorf Nord, von Rudow nach Spandau, um uns Absagen abzuholen, denn man habe uns „das lieber persönlich sagen wollen“. Als wäre die Nachricht dadurch eine bessere, als hätte man das nicht auch per E-Mail mitteilen können. Als all unsere Bemühungen im Sande verliefen, ließ die Motivation mehr und mehr nach. Als wir hörten, dass in Potsdam Karin Graf (Agentur für Autoren in Berlin) problemlos Potsdamer Sponsoren fand, um ein Lesefestival auf die Beine zu stellen, gaben wir schließlich auf.

Wir haben viel versucht, nachgehakt, aber nicht genügend Menschen/Unternehmen etc. für uns gewinnen können, das war bitter. Schließlich entschlossen wir uns, den Verein aufzulösen, und ich bedauere immer noch, dass wir es nicht geschafft haben, die Menschen, die wir kontaktierten, „nachhaltig“ von unserer Idee zu überzeugen, Literatur für Kinder und Jugendliche an geheimen, spannenden Orten in Berlin zu präsentieren. „Außer Spesen nichts gewesen“, hätte meine Großmutter gesagt, dem ist nichts hinzuzufügen.

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