Mit Ohrenbär fing alles an

© Andreas Eisenhart

Von Sabine Ludwig

Nun, das stimmt nicht so ganz, denn natürlich begann meine enge Beziehung zum Radio sehr viel früher. Als Kind war unser Radio für mich ein Zauberkasten. Lange war ich davon überzeugt, dass darin winzige Menschen steckten, die sprachen, sangen, musizierten. So wie das Engelsorchester auf Opas Weihnachtspyramide stellte ich mir auch das Orchester im Radio vor. (Allerdings ging ich nicht davon aus, dass der Pianist mit nacktem Hintern vor dem Flügel saß wie der Holzengel aus dem Erzgebirge.) Jeden Sonntagmorgen Punkt zehn ertönte: „Der Onkel Tobias vom RIAS ist da!“ Einmal im Monat gab es ein Hörspiel, ein Kasperlestück, das ich liebte, an den anderen Sonntagen waren die RIAS-Kinder bei Onkel Tobias zu Gast und erzählten oder sangen irgendwas. Ich fand es öde und bin bis heute davon überzeugt, dass Kinder das, was Gleichaltrige machen oder sagen, selten interessant finden. (Das glauben vielleicht Programmverantwortliche, weil es so schön billig ist, Kindern ein Mikro vor die Nase zu halten.) Nein, Kinder wollen Geschichten hören, gern auch die der Erwachsenen. Ich erinnere mich, wie ich so tat, als schliefe ich, wenn die reißerische Erkennungsmelodie von „Es geschah in Berlin“ ertönte, damit meine Eltern bloß nicht auf die Idee kamen, das Radio abzustellen. Verstanden habe ich kaum etwas, genossen habe ich es trotzdem.

Mein Zauberkasten © privat

Im Sommer 1987 kam Marianne Wagner, die Redakteurin der SFB-Reihe „Passagen“, für die ich regelmäßig schrieb, auf mich zu und fragte, ob ich mir vorstellen könnte, kurze Radiogeschichten für Kinder zu schreiben. Nichts lag mir ferner. Ich hatte keine Kinder, kannte keine Kinder, wahrscheinlich mochte ich auch keine Kinder. Nur ein Kind kannte ich gut, nämlich mich. Und über das hab ich dann geschrieben. Damit fing es an, mein Schreiben für Kinder. Viele AutorInnen haben für den Ohrenbär ihre ersten Kindergeschichten verfasst. Bekannte und unbekannte. Und alle bekamen das gleiche Honorar. In der Verlagslandschaft undenkbar. Das gleiche Honorar erhielten auch die SprecherInnen, und wem es zu wenig war, der hatte eben Pech. Die Liste der SchauspielerInnen, die den Geschichten ihre Stimme liehen, liest sich wie das „Who is Who“ der deutschen Theaterszene. 1989 wurde ich neben Marianne Wagner Redakteurin der Reihe und habe während meines ganzen Studiums der Germanistik nicht so viel übers Schreiben gelernt wie an meinem Arbeitstisch im vierten Stock des Rundfunkhauses in der Masurenallee. Inzwischen war der WDR Koproduzent, ihm folgte dann der NDR.

Wie groß die Bindung der kleinen ZuhörerInnen zu der Sendereihe war und ist, beweisen die schon legendären Ohrenbärfeste, die jedes Mal aus allen Nähten platzen. 1989 fand es kurz nach dem Mauerfall im Literaturhaus in der Fasanenstraße statt, und wir waren völlig überrascht, wie viele Kinder mit ihren Eltern aus dem Ostteil der Stadt kamen und die hehren Räume mit Leben und Begeisterung füllten. Zum 30-jährigen Jubiläum vor drei Jahren gab es wieder ein großes Fest und viel Lob und viele Reden. Ich stand mit meinen früheren KollegInnen vom WDR und NDR zusammen, und wir beglückwünschten uns, dass der Ohrenbär für eine Radiosendung ein fast schon biblisches Alter erreicht hatte und ein Ende nicht in Sicht war. Doch nachdem letztes Jahr bereits der WDR als Koproduzent ausschied, steht nun zu befürchten, dass sich zum Jahresende auch der NDR verabschiedet. Was das für den produzierenden Sender rbb und für die Redaktion bedeuten würde, lässt sich nur vermuten. Bestenfalls würde die Sendung weitergeführt, dann wohl mit einem hohen Wiederholungsanteil. Wäre dies so schlimm? In 33 Jahren wurden unzählige wunderbare Geschichten produziert, die man bis in alle Ewigkeit senden könnte, schließlich wachsen immer neue Zuhörer nach. Und ja, es wäre schlimm, denn obwohl gute Geschichten nie altern, verändern sich doch die Lebensbedingungen von Kindern rasant. Sich darauf mit neuen Texten neuer Autoren einzustellen, halte ich für unverzichtbar.

Der Ohrenbär war für uns AutorInnen natürlich auch deshalb so attraktiv, weil durch die kooperierenden Sender das Honorar angenehm hoch ausfiel. Ein Siebenteiler entsprach mit Beteiligung des WDR und NDR fast dem Honorar eines Hörspiels. Auch das gehört erwähnt:
das eine Hörspiel im Jahr, das die Redakteurin Sonja Kessen dem rbb quasi abgetrotzt hat, wohlwissend, dass Hörspielkultur für Kinder immens wichtig ist. Dieses Jahreshörspiel wurde aufwendig produziert und fast immer prämiert.

Ich höre schon das Argument: Welches Kind sitzt denn heute noch vorm Radio? In Coronazeiten sollen das nicht wenige gewesen sein, und selbst wenn das Radio in einer Familie keine große Rolle spielt, können die Geschichten als Podcast praktisch zu jeder Zeit und überall gehört werden, und das immer wieder. Aber Kinder haben eben keine Lobby, und die Tatsache, dass es ohne eine frühe Bindung ans Radio später auch keine erwachsenen Zuhörer geben wird, ist hinreichend bekannt. Wer es noch nicht getan hat, unterschreibe bitte die Petition:
https://www.openpetition.de/petition/online/rettet-den-ohrenbaer

Ein Gedanke zu „Mit Ohrenbär fing alles an

  • 28. September 2020 um 15:57
    Permalink

    Ach, liebe Sabine, das hast du so toll und unterhaltsam und kein bisschen mahnend geschrieben. Nur einfach auffordernd. Zu Recht!
    Ganz herzlich
    Barbara (Rose)
    Kinderbuchautorin und Journalistin (früher auch fürs Kinderradio 🙂

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