Diversität ist ein aktuell häufiger auftauchender Begriff.
Oda Stockmann betreibt einen Onlineshop für Spielzeug und Bücher zum Thema Diversität. Wir wollten genauer wissen, was sie macht.
Spreeautoren: Was bedeutet Diversität?
Oda Stockmann: Wow, da kommt ihr ja direkt zur Sache. Erst mal heißt es in der Übersetzung einfach nur „Vielfalt“. Für mich selber bedeutet es, mit Menschen befreundet zu sein, die ganz andere Blickwinkel auf das Leben und die Welt haben als ich. Zum Beispiel habe ich eine Freundin mit einer Behinderung, die mir oft sagt, wo meine Denkstrukturen recht privilegiert sind. Das heißt nicht, dass ich deswegen mit ihr befreundet bin. Das bin ich, weil sie ein wundervoller Mensch ist und wir uns über alles im Leben austauschen können. Aber dass ich mich öffne dafür, verschiedene Blickwinkel einzunehmen und wertzuschätzen, und sich mir gegenüber Menschen öffnen mit ihren Blickwinkeln, das macht für mich „gelebte Vielfalt“ aus.
Spreeautoren: Wie bist du darauf gekommen, einen Onlineshop zum Thema Diversität zu eröffnen?
Oda Stockmann: Mein Mann und ich haben ein Schwarzes Kind * adoptiert. Im Vorfeld – und ja, leider erst da so richtig – begann ich mich wirklich und ernsthaft mit Rassismus auseinanderzusetzen. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass ich davor nur glaubte, vielfältig zu denken und alle Menschen wertzuschätzen. Heute weiß ich, dass es ein langer Weg ist, von dem ich keine Ahnung habe, wie lang er noch für mich ist und ob er jemals endet. Aber ich gehe ihn. Ich erkannte zudem, wie gleich die Strukturen verschiedener Diskriminierungen sind, und eine Fortbildung folgte auf die andere. Ich setzte mich immer weiter damit auseinander, und vor allem eine möglichst gerechte und wertschätzende Kommunikation liegt mir sehr am Herzen.
(* Schwarzes Kind ist absichtlich groß geschrieben, es handelt sich hierbei um die Selbstbezeichnung Schwarzer Deutscher Menschen und kommt aus der Black Power Bewegung)
Spreeautoren: Was machst du genau?
Oda Stockmann: Ich arbeite als Kommunikationsberaterin und Trainerin mit Schwerpunkt Diversity. Das heißt, dass ich Menschen dabei unterstütze, die unbewussten Denkmuster und Privilegien, die wir mit uns herumtragen, bewusster zu machen. Und dann besser und gerechter zu kommunizieren – sofern uns das wichtig ist. Ein konkretes Beispiel: Ich schaue bei Websiten und Büchern, ob die Texte möglichst viele Menschen sprachlich wertschätzend zeigen und ob die verwendeten Bilder zu den dahinterstehenden Ideen passen.
Zusätzlich habe ich einen Online-Shop, in dem ich Materialien anbiete, die Vielfalt möglichst positiv und wertschätzend zeigen. So können zum Beispiel KiTas, therapeutische Praxen und Schulen Förderspiele beschaffen, die vielfältige Kinder- und Familienkonstellationen zeigen. Aber auch Bücher und Geschenke sind in meinem Shop, nicht nur für Kinder. Da wir im Bereich gerecht gezeigter Vielfalt in Deutschland noch ein wenig am Anfang sind, ist es manchmal nicht ganz leicht, das Passende zu finden. Schnell versteckt sich doch hier und da eine unbewusste Diskriminierung. Ich weise dann immer nach bestem Wissen und Gewissen auf „Schwachstellen“ hin. Alle Artikel in meinem Shop müssen also erst meinem mitunter sehr kritischen Blick auf wertschätzende Darstellung bestehen, ehe sie aufgenommen werden.
Spreeautoren: Warum findest du, dass das ein wichtiges Thema ist?
Oda Stockmann: Früher fand ich das Thema Diversity nicht wichtig. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich unbewusste Denkmuster in mir habe, die Menschen massiv ausgrenzen und ihnen emotionale Schmerzen zufügen können. Das hat sich erst geändert, als sich mein Wissen geändert hat. Und wenn ich etwas durch Bewusstmachung ändern und anderen helfen kann, das auch zu erfahren, finde ich das einfach eine schöne Tätigkeit. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die nett mit den Menschen umgeht und sie wertschätzt, wie sie sind, anstatt sie auszugrenzen. Für mich ist es ein Teil meiner persönlichen Haltung geworden.
Spreeautoren: Wie ist der Stand im deutschsprachigen Kinder- und Jugendbuch, auch im Vergleich zu anderen Ländern?
Oda Stockmann: Das Schöne vorweg: Es wird besser. Mit jedem Jahr, das ich in dem Bereich arbeite, sehe ich mehr Bücher, die versuchen Vielfalt positiv zu zeigen, und immer öfter gelingt dies auch gut.
Ich kenne nicht die Statistiken zu anderen Ländern. Mein Empfinden ist aber, dass es im deutschsprachigen Raum noch eine Menge Verbesserungspotenzial gibt und dass es besonders in England, den USA und Australien schon deutlich mehr Bücher gibt, die ich als gut einschätze.
Spreeautoren: Können wir etwas verbessern?
Oda Stockmann: Ja, in jedem Fall. Ganz oft ist die Hauptperson in Kinderbüchern noch männlich, weiß, blond, blauäugig, cisgender, hetero, der Mittelschicht angehörend, ohne Behinderung und lebt mit einem Geschwisterkind bei Mutter und Vater im Häuschen mit Garten. Wenn es vielfältigere Indentifikationsfiguren in Hauptrollen gibt und die Nebencharaktere möglichst diskriminierungsfrei gezeigt sind, ist schon viel gewonnen.
Spreeautoren: Wo ist besonders Bedarf?
Oda Stockmann: Auf allen Ebenen, auf denen diskriminiert werden kann.
Spreeautoren: Gibt es gute Beispiele im deutschsprachigen Bereich oder international?
Oda Stockmann: Die Frage finde ich etwas schwierig zu beantworten, da ich versuche nur gute Beispiele anzubieten. Mittlerweile habe ich rund 170 Artikel im Shop und kann locker das Doppelte bis Dreifache noch hinzunehmen – nur die Zeit fehlt gerade etwas. Es wird zum Glück immer mehr. Das sah am Anfang ganz anders aus. Da habe ich noch sehr mühselig jeden einzelnen Artikel gesucht.
Spreeautoren: Gibt es auch negative Beispiele?
Oda Stockmann: Es gibt schlechte Beispiele ohne Ende. Aber ich mag es lieber, auf die Dinge zu schauen, die schon gut laufen, oder auf das, was wir verbessern möchten. Und das fängt meiner Erfahrung nach immer bei uns selber an.
Wie du deinen Blick auf die Auswahl von Kinderbüchern verändern kannst, habe ich dir im Blogartikel aufgeschrieben. Darin findest du einige hilfreiche Fragen: https://diversity-is-us.de/weg-mit-den-ollen-buechern-her-mit-vielfalt-in-kinderbuechern/
Spreeautoren: Wenn du ein paar Bücher empfehlen könntest, würden wir uns freuen.
Oda Stockmann: Ich mag sehr gerne „Ich so Du so“. Weil es mehr zeigt, wo wir Gemeinsamkeiten haben als Unterschiede. Es ist ab 9 Jahren empfohlen und legt ganz sachte den Finger in die Wunden, wo wir vielfältiger denken könnten. Vor allem aber ist es toll in der Phase der Identitätsfindung. Ich finde, es verhilft zu mehr Gelassenheit mit dem Thema.
Für ganz kleine Kinder liebe ich die Pappbilderbücher „Ich mag …“ und „Ich bin jetzt“, gezeichnet von Constanze von Kitzing. Sie zeigen so anrührend Dinge, die man mag, und Emotionen.
„Kalle und Elsa, ein Sommerabenteuer“ zeigt so wunderbar herrlich, wie vertieft Kinder in ihr Spiel versunken sein können. Es ist ab 3 Jahren empfohlen, und ich mag die Illustrationen ebenfalls sehr.
Wer den Kindern erklären möchte, was einen Transgender-Menschen umtreiben kann: Mit „Teddy Tilly„ ist das ganz einfach.
„Marwans Weg“ ist die Geschichte einer Flucht. In ihren anrührenden Bildern erklärt sie nicht einem vermeintlichen „Standardkind“ in Deutschland, was Syrien ist und wie toll es in der neuen Heimat ist, sondern wie sich ein Kind fühlen könnte und was es erlebt auf dem Weg weg aus einer geliebten Heimat. Das empfohlene Lesealter ist 4-6 Jahre.
Spreeautoren: Vielen Dank für das Interview. Wer mehr wissen möchte: Diversity is us