Wir freuen uns über einen tollen Gastartikel (2. Teil) von Heike Brillmann-Ede. Der vollständige Beitrag erschien ursprünglich unter dem Titel „SICHTBAR werden — und bleiben!“ im Eselsohr April 2019. Wir dürfen den Text auszugsweise auf dem Spreeautoren-Blog veröffentlichen. Vielen Dank an Heike Brillmann-Ede und das Eselsohr.
Weibliche Vorbilder werden gebraucht. JA, und schön, dass die #MeToo-Debatte geholfen hat, das Thema erneut ins Bewusstsein zu rücken. Diskussion bis zum Kampf treibt Frauen seit Jahrhunderten an: Wie schaffen wir es, endlich gleichgestellt und gleichbehandelt zu werden? Weltweit. Unbedingte Voraussetzung ist das Benennen derjenigen, die vorangehen. Denn Sichtbarkeit ermöglicht Identifikation. Ein Blick in die Buchwelt lässt hoffen, dass das aktuelle Engagement nachhaltig gedacht ist.
Von Heike Brillmann-Ede
In der Graphic Novel Drei Wege werden drei Frauen von 1918, 1968 und 2018 geschickt in Beziehung gesetzt: Ida, das Dienstmädchen, bricht still und mit Würde auf in ein unbekanntes Leben. Marlies entlarvt den Revoluzzer-Geliebten in all seiner seligen Elternwohlhabenheit und stützt sich fortan auf den Wert der eigenen Anstrengung. Die beste Freundin gaukelt Perfektes vor, was Selin unbewusst unter Druck setzt, während ihre Mutter selbstbewusst allein erzieht und emanzipiert lebt, ihr Vater in Kana- da sie zu einem längeren Aufenthalt einlädt. Es ist die Fülle an Optionen, die Selin verwirrt. Mit zartem Bleistift, den malerischen Grundtönen Gelb, Rosa und Blau-Türkis pro Porträt und den fast spielerisch-assoziativen Übergängen überzeugt Juli Zejn in ihrem Debüt.
Pars pro toto
(Ein Teil für das Ganze, Anm. d. Red.)
Bereits 1986 gelang Charlotte Kerner in der leider eingestellten Biografie-Reihe bei Beltz & Gelberg ein spannend-einsichtiges Porträt (seit 2014 als TB bei Gulliver erhältlich, ab 14) von Lise, Atomphysikerin, der ersten habilitierten Frau in Deutschland (1922) und ersten außerordentlichen Professorin in Berlin (1926).
Lise Meitner, der von den Nazis vertriebenen Jüdin aus Wien und Pionierin des Atomzeitalters, widmen David Rennert und Tanja Traxler zum 50. Todestag 2018 ein auf neuester Forschung basierendes Buch. Der gut lesbare, auch wissenschaftlich engagierte Text mit SW-Fotos und reichem Anhang beschreibt die Chancen und Hürden im Leben eines weiblichen Genies, ihre unbedingte Liebe zur Physik, ihre Kom- promissfähigkeit und Beharrlichkeit, ihre Gabe zur Kooperation und Empathie. Früh gefördert durch die liberale Familie, wurde „unsere Marie Curie“ (Albert Einstein) im Alter dies- und jenseits des Atlantiks hoch geehrt und verehrt; den Nobelpreis bekam sie nie.
Steffen Herbold (Text) und Martin Burkhardt (Illustration) legen mit Die stramme Helene ihre dritte Zusammenarbeit im Kunstanstifter Verlag vor. Wenige Seiten führen hinein in das (fiktiv- beispielhafte) Leben von Helene in den 1960er Jahren. Sie ist Hausfrau, Ehemann Karl verdient das Geld und liebt die klare Ansage. Jeder Tag im selben Rhythmus und mit dem Rollenspiel, das Helene schon von zu Hause kennt. Und doch bedeutete der wortkarge Karl einst den Ausweg, Helene war schon 40, als sie heirateten. Dass er gewalttätig ist, hat sie lange hingenommen. Bis sie im Hausarzt einen Helfer fand: Pillen mischt sie Karl ins Essen, so ist für eine Weile Ruh. Dann die Diagnose Krebs: Karl wird rückfällig, schlägt, taumelt, fällt. Und Helene? Sie dreht sich um, putzt den Salat, den ihr Karl stets verbot, und pflückt eine Raupe heraus, die sie genüsslich verspeist. Vielleicht wird sie ja selbst zum Schmetterling … Eine gelungene, sich ins Gedächtnis grabende Biografie!
Für mein Mädchen (Illustration Holly Hatam) ist auch eine Liebeserklärung der 2017 verstorbenen Autorin Amy Krouse Rosenthal an ihre Tochter Paris, mit der zusammen sie sich dieses beschwingende Bilderbuch ausdachte. Auf jeder Seite begegnet das namenlose Mädchen sich selbst, springt mit Schmackes in die Schlammpfütze, dreht federleichte Pirouetten im extra rosa Tutu, notiert Gedanken fernab vom Rummel, tanzt, wenn die anderen sitzen, teilt alles mit ihrer besten Freundin und wagt das Nein, wenn sie etwas nicht will. Eine temperamentvolle Einladung, mutig und neugierig zu sein. Denn es ist dein Leben.
Heike Brillmann-Ede