Von Kathrin Köller
Im Frühjahr 2019 hat sich Kristina Heldmann für die Kunst entschieden. Mal wieder. Dabei hatte die Illustratorin gerade einen PR-Job angenommen, damit mal ein bisschen Geld in die Familienkasse fließt. Doch ein kleiner, aber feiner Verlag will ihr Buch verlegen. Ein Kunstsachbuch soll es werden, das Klimawandel und Klimaschutz für Kinder ansprechend erklärt. Ein Herzensprojekt. Für die Zukunft der Kinder hängt Kristina Heldmann den Brotjob an den Nagel und verschreibt sich ganz der Kunst. Und der Wissenschaft. Denn weil das Honorar schon für eine Person nicht reicht, übernimmt die Künstlerin auch die Autorenrolle, interviewt Wissenschaftler und macht daraus knackige, für Kinder verständliche Texte. Wie sie über die Runden kommt, stellt sie hinten an. Sie arbeitet ohne Unterlass, denn irgendwann, wenn das Buch erscheint, dann ist das ihr Lohn.
Kristina Heldmanns Buch „Ohne Eis kein Eisbär“ erscheint am 26. Februar 2020. Eine gute Woche später, am 06. März, wird die Leipziger Buchmesse abgesagt, Bologna ist zunächst verschoben, dann ebenfalls abgesagt, auch die lit.Cologne, das größte europäische Lesefest, entfällt. Alles absolut sinnvolle Maßnahmen, um die Verbreitung des Corona-Virus einzudämmen und Leben zu retten. Gar keine Frage.
Doch die Auswirkungen von abgesagten Messen, Lesefestivals, Schul- und Bibliothekslesungen und dann auch geschlossenen Buchläden1 sind für die Autor*innen und Künstler*innen, deren Bücher zwischen Januar und März 2020 erschienen sind, eine Katastrophe. Kristina Heldmanns Geschichte ist kein Einzelfall. Sie steht eher exemplarisch für die Vulnerabilität von Kinderbuchmachern. Die Kreativen der Kinder- und Jugendbuchszene pokern schon zu normalen Zeiten mit der Zukunft. Operation Herzensprojekt bedeutet für sie, es wird geklotzt ohne Ende, Geld und Betriebsrat. Alles in der Hoffnung, dass mit dem Erscheinen ihres Titels Kinder beglückt werden, das Buch gelesen, beworben und verbreitet wird. Vielleicht verkauft der Verlag sogar eine Lizenz ins Ausland, falls nicht, so ist man wenigstens auf Messen und in Buchläden sichtbar. Und es werden Lesungen vereinbart, die die Buchmacher*innen am Leben halten – weil Kinder so ein tolles Publikum sind, aber auch weil Lesungen Lebensunterhalt bedeuten.
Das haben sie nicht verdient!
All das entfällt für die Bücher der Frühjahrsprogramme 2020. Einige der April-Titel konnten vielleicht noch ins Herbstprogramm geschoben werden, aber die Bücher, die zwischen Januar und März erschienen sind, sie fallen schlichtweg in ein Loch. Selbst geplante Buchbesprechungen in Medien werden gestrichen, weil Beilagen wegfallen, weil der Monothematismus Corona alles andere verdrängt, weil Zeitungen selbst ins Straucheln geraten. Begegnungen, Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit, diese Währungen, die für die Werke von Autor*innen und Künstler*innen so existentiell wichtig sind, sie entfallen. Das ist umso schmerzhafter, als der zeitliche Rahmen, die Bewährungsprobe, die Kinder- und Jugendbücher auf dem Markt haben, extrem eng gesteckt ist. Im Juni beginnt bereits der Bücherherbst und dann interessiert sich niemand mehr für die Frühjahrsbücher.
Aber diese Frühjahrsbücher 2020 hatten noch gar keine Chance. Überall, wo man sie eigentlich hätte entdecken sollen, hängt ein „Geschlossen“-Schild an der Tür. Wie viele andere, hat auch Kristina Heldmann jetzt ein Video gemacht und auf ihre Instagram-Seite gestellt. Ein paar Bekannte werden das Buch so sicherlich entdecken und bestellen. Aber mit viel Aufwand produziertes Online-Bücherblättern ersetzt keine Lesungen, ersetzt keine Büchertische und liebevollen Empfehlungen der Buchhändler*innen, ersetzt keine Messegespräche und Werbung der Verlage. Sicher, Buchhandlungen und Verlage leiden definitiv ebenfalls unter dem Stillstand des öffentlichen Lebens, und es bedarf mitunter großer Anstrengungen, um über die Runden zu kommen.
Ein zweiter Frühling
Aber es braucht jetzt eine Operation Herzensprojekt für die Frühjahrsbücher 2020 seitens der Verlage und Buchhändler und ihrer Verbände. Jenseits der aktuellen Krisenbewältigung können sie einen organisatorischen Rahmen bieten, den die einzelnen Autor*innen nicht haben. Und zwar am besten gemeinsam, weil es alle betrifft und sich zusammen eine größere Aufmerksamkeit schaffen lässt. Vielleicht ein Frühjahrsbücher-Vorlesetag mit Abstand und Buchverkauf. Vielleicht müssen auch die normalen Pfade verlassen werden, denn dieses Jahr ist nichts normal. Ein zweites Erscheinungsdatum oder die Frühjahrsbücher noch einmal mit in die Herbstvorschau? Hier braucht es jetzt die kreativen Ideen der Vermarktungsexpert*innen von Verlag und Handel, damit Autor*innen und Künstler*innen sich das Buchmachen ansatzweise weiter leisten können.
Vielleicht eine Anmerkung noch, bevor dann wirklich das Ende des Plädoyers erreicht ist: Diese Kraftanstrengung für die Frühjahrsbücher ist nötig. Aber es muss jetzt nicht alles kostenlos sein. Es soll verkauft werden. Kunst kostet. Sonst können langfristig weder die, die die Inhalte schaffen, noch Verlage und Buchhandlungen überleben.
[1] In Berlin und Sachsen-Anhalt sind Buchläden systemrelevant. Das ist großartig. Aber von Normalbetrieb kann auch hier keine Rede sein.
Der Textbeitrag erschien erstmalig in der Maiausgabe 2020 von „Eselsohr – Fachzeitschrift für Kinder- und Jugendmedien“. Danke an Eselsohr und Kathrin Köller.
Toller Artikel und sehr richtig, dass hier Sortiments- und Verlagsbuchhandel gemeinsam etwas für die F20-Bücher tun sollten … Schaufenster-Aktionen mit SaBine Büchners freundlichen Messe-Viren (siehe oben) zum Beispiel.