Jüdische Kinderbücher schreiben und gestalten

Foto: Maria Ulatowski © Eva Lezzi

Von Eva Lezzi

Vor zehn Jahren haben die bildende Künstlerin Anna Adam und ich das erste gemeinsame Kinderbuch publiziert: „Beni, Oma und ihr Geheimnis“ bildet den Auftakt unserer Reihe um den achtjährigen, in Berlin lebenden Beni. Mein Sohn war damals ungefähr so alt wie Beni. Ich wollte, dass er mit Büchern aufwächst, in denen jüdisches Leben selbstverständlich und alltäglich ist. In Anna Adam fand ich eine tolle Künstlerin mit Humor und ausgefallenen Ideen sowie eine Gesprächspartnerin, um die Beni-Reihe gemeinsam zu entwickeln. Im Frühjahr 21 wird unser vierter Band, „Beni und Oma in den Gärten der Welt“, erscheinen.

Vor zehn Jahren waren jüdische Kinder in der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur mit wenigen Ausnahmen (z.B. das wunderbare Jugendbuch „Prinz William, Maximilian Minsky und ich“ von Holly-Jane Rahlens) entweder tot wie Anne Frank, oder sie entkamen nur knapp der Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Sie lebten weit weg von Deutschland und/oder in fernen Zeiten. Auch gab es Kinderbücher, die über das Judentum und die jüdische Religion aufklären. Wo aber waren Geschichten über heutigen jüdischen Alltag in Deutschland? Beispielsweise über einen achtjährigen Jungen, der von den Großeltern zwar einiges über den Holocaust erfährt, dem aber seine Autorennbahn und die von ihm gemalten Piratenbilder wichtiger sind? Ein Junge, der sich bei einem Skateboard-Unfall das Knie aufschlägt, bei seinem Freund übernachtet und im dritten Band, nun als Zehnjähriger, in Sophie verliebt ist?

Unsere Bücher erscheinen im Hentrich & Hentrich Verlag, einem „Verlag für jüdische Kultur und Zeitgeschichte“, und eröffneten dort das Programm für Kinderliteratur. Die Leselandschaft hat sich in den letzten zehn Jahren ohnehin zum Positiven verändert: 2010 wurde in Berlin der
Ariella Verlag gegründet, der seither mit einem vielfältigen Programm ebenfalls für Diversität und Gegenwartsbezug in den jüdischen Kinderliteraturen steht. Exemplarisch hervorheben möchte ich die dort publizierten, phantasievoll gestalteten Bücher von Shlomit Tulgan mit ihrem jüdischen Puppentheater bubales.

Jüdische Kinderbücher zu publizieren, bedeutet für Anna Adam und mich eine doppelte Herausforderung: Die Bücher sollen sowohl für jüdische wie nichtjüdische Kinder und Familien spannend, verständlich und zugleich „authentisch“ sein. Wie kann das gelingen? Wie kann ich über Judentum schreiben, ohne ständig Erklärungen einzufügen? Wir haben uns für ein Glossar entschieden, in dem wir – nicht nur – jüdische Begriffe erklären. Außerdem übersetze ich Wörter teilweise während des Erzählens möglichst beiläufig, schreibe von „Challe“ und im nächsten Satz von „Zopfbrot“. Das geht natürlich nicht immer, denn „Pessach“ lässt sich nun einmal nicht mit „Ostern“ übersetzen und „Bat Mitzwa“ nicht mit „Konfirmation“. Anna Adam wiederum arbeitet mit dreidimensionalen Collagen aus Zeichnungen, Kunstobjekten und Alltagsdingen, zu denen auch Gegenstände der jüdischen Tradition gehören. So auf dem Bild des Fensterbretts in Omas Küche:

Illustration von Anna Adam © Anna Adam

Mit unseren Büchern suchen wir nicht nur einen Dialog zwischen jüdischen und nichtjüdischen Leser*innen, sondern auch einen innerjüdischen. Wir mischen uns ein in die bisweilen hitzigen Diskussionen um unterschiedliche (religiöse) Richtungen des Judentums. Unser drittes Buch – „Beni und die Bat Mitzwa“ (2015) – rückt nicht eine „Bar Mitzwa“ (hebräisch für „Sohn der Pflicht“), sondern eben eine „Bat Mitzwa“ („Tochter der Pflicht“) ins Zentrum. Während im orthodoxen Judentum nur Männer während des Gottesdienstes zur Tora aufgerufen werden, wird im liberalen Judentum diese Ehre auch Frauen zuteil. Tabea, Benis ältere Schwester, darf an ihrer Bat Mitzwa erstmalig öffentlich in der Synagoge aus der Tora lesen und gilt mit diesem Ritual als religiös mündig. Die egalitäre Position seiner Schöpferinnen interessiert Beni jedoch wenig. Ihn ärgert, dass sich die Aufmerksamkeit der ganzen Familie ununterbrochen auf Tabea und ihre Bat Mitzwa richtet. Wie gut, dass seine nervige Schwester plötzlich Benis Hilfe braucht und sich gezwungen sieht, ihm bei ihrer Tanzshow eine wichtige Rolle zu geben.

© Anna Adam

Schließlich geht es in unseren Büchern auch um einen Dialog zwischen Text und Bild. Wir sind unserem Verlag dankbar, so eng und frei zusammen-
arbeiten zu dürfen – leider keine Selbstverständlichkeit bei der Produktion von Büchern für Kinder. Anna Adam und ich entwickeln gemeinsam ästhetische Konzepte, die eng mit der jüdischen Thematik zu tun haben. Beispielsweise erzählen Oma und Opa im ersten Buch von ihren Erfahrungen im Holocaust. Auf der Ebene der Bilder wird diese Thematik jedoch ausgespart. Die Bilder erschließen den Kindern einen eigenen, heutigen Erfahrungsraum.

Über solche gemeinsamen konzeptionellen Linien hinaus überrascht mich Anna Adam immer wieder mit ihren Bildideen, indem sie völlig unerwartete Aspekte aus meinen Texten aufgreift. Dies können Details sein wie beispielsweise die Schuhe von Oma und Benis Onkel Jakob, die zeigen, dass sich Oma auf die Zehenspitzen stellen muss, um ihrem Sohn einen Kuss zu geben. Oder aber Anna Adam stellt statt eines Details gleich die ganze Welt dar – so wie im Umschlagbild zu unserem nächsten Buch „Beni und Oma in den Gärten der Welt“ (2021). Freut euch darauf, diese Welt bald gemeinsam mit Beni und seinem Skateboard zu erkunden!

Coverillustration von Anna Adam zu „Beni und Oma in den Gärten der Welt“ © Anna Adam