Fürs Radio zu schreiben ist anders …

Foto: © privat

Von Nina Petrick

Logo der Kindersendung

„Kennt ihr die Sendung Ohrenbär?“, frage ich immer, wenn ich an einer Schule Lesungen halte. Ja, viele Kinder kennen Ohrenbär. Ohrenbär, das ist die Sendung, die jeden Abend im Radio auf Berlin Brandenburg 88,8 und auf NDR Info läuft. Immer montags geht es mit einer neuen Geschichte los, die über die ganze Woche erzählt wird. Zuerst hört man das Peter-Motiv aus Peter und der Wolf, dann verkündet eine Kinderstimme: „Ohrenbär, Radiogeschichten für Kinder“, und die zehnminütige Folge beginnt, gelesen von bekannten Schauspielern.

Viele Zuhörer glauben, es wäre leicht, für den Rundfunk, Ohrenbär zu schreiben, weil das Format kurz ist, eine Reihe umfasst nur fünf bis sieben Folgen. In zehn Minuten ist eine Episode erzählt, die mit einem Cliffhanger enden kann, schließlich geht die Geschichte am nächsten Abend weiter. Die Geschichten können spannend, skurril, auch mal ernst oder lustig sein. Geschichten, bei denen einem der Atem stockt, die frei erfunden sind oder sich genauso zugetragen haben. Das ist bis auf die Länge der Texte nicht anderes als bei Kinderbüchern. Aber das kurze Format zwingt zur Disziplin, ausufernd zu erzählen geht nicht, man muss auf den Punkt kommen. Kill your darlings gilt ohnehin und hier besonders. 7000 Zeichen pro Folge sind eben nicht viel. Wörtliche Rede wird nur sparsam eingesetzt.

Beginne ich die Geschichte, stelle ich mir die Figuren vor, das ist nicht anders als bei einem Kinderbuch. Der Unterschied besteht hier eben in dem speziellen Format. Nach vier Seiten ist die erste Folge zu Ende, die Kinder sollen sich nicht ängstigen oder aufregen, das heißt aber nicht, dass die Geschichte langweilig sein darf. Sie soll ein versöhnliches Ende haben, so dass man Lust hat am nächsten Tag weiter zuzuhören, soll neugierig machen, nicht beunruhigen, damit man sich auf den nächsten Abend freut.

In den letzten zwanzig Jahren habe ich über 120 Geschichten für Ohrenbär geschrieben. Ich habe Realistisches (wie z.B. die Scheidung der Eltern, Umzug, Verlust von Freunden, Streitigkeiten) verarbeitet und zahlreiche (Hexen-)Wesen erfunden. Eine Reisegeschichte eignet sich wunderbar, um sieben verschiedene Episoden zu erzählen. Von der Ankunft an einem neuen Ort, den Ereignissen dort, Freundschaften, Pleiten und Pannen bis zur Abreise. Ich habe Werbefiguren wie Mia Mersila aus dem Fernseher gezaubert und lebendig werden lassen. Mädchen wie Mascha wurden plötzlich Hexen, sie reiste in ein geheimes Reich, musste eine magische Suppe kochen und verfeindete Hexenköniginnen versöhnen. Paula Plinksi entdeckte im Antiquitäten-Laden ihrer Eltern immer wieder merkwürdige Geräte wie z.B. einen Parfum-Spritz-Automaten.

Illustration von Tom Eigenhufe zu meiner Geschichte „Paula Plinski: Gefangen auf Balkonien“

Oder die Geschichte von Anna Glücksblatt, die in einer Pension am Meer lebte, am Strand nach Schätzen suchte und stattdessen nur alte Fischerkugeln fand. Sie hatte im Sommer mit geheimnisvollen Feriengästen (Spionen?) zu tun und war im Winter eingeschneit, so dass alle Dorfbewohner in der Pension zusammenrückten. Dies sind nur ein paar anerzählte Beispiele …

Bei einer Benefiz-Lesung vor zwölf Jahren in Brandenburg,
© Birgit Patzelt

Manchmal habe ich die Geschichte komplett im Kopf. Auf einer Zugfahrt von Berlin nach München habe ich einmal sieben Folgen geschrieben und musste nur wenig ändern. Andere Geschichten sind sperriger, immer wieder habe ich einzelne Folgen bearbeiten müssen. Sie waren zu kurz oder zu lang, hatten kein gutes Ende, auf jeden Fall keins, das man sich für eine Gutenachtgeschichte wünscht.

Ja, es ist anders, für das Radio zu schreiben, es ist nicht leichter, weil die Geschichten kurz sind, manchmal ist es dadurch sogar schwerer. Aber es ist für mich immer wieder etwas Besonderes, eine neue Ohrenbär-Geschichte zu erfinden – so wie jetzt gerade Toni, Oma Rosi und die Suche nach Bananenbäumen, in der eine demente Großmutter zwei Geschwister zum Handeln zwingt. (Wird im Juli 2021 gesendet.)

Das Ohrenbär-Format war in Gefahr, es sollte aus dem linearen Programm genommen werden. Zum Glück konnte das u.a. durch eine Petition abgewendet werden. Die Ohrenbär-Geschichten sind auch als Podcast abrufbar. Die AutorInnen behalten die Druckrechte, viele Geschichten sind inzwischen auch als Bücher oder in Kinderzeitschriften wie GECKO erschienen. Seit 20 Jahren arbeite ich konstant mit Sonja Kessen zusammen, und aus dieser wunderbaren Zusammenarbeit hat sich eine Freundschaft entwickelt. Möge Ohrenbär noch lange senden.