Autor und Illustrator in Personalunion zu sein, hat viele Vorteile – kann aber auch ganz schön anstrengend sein …
Von Hendrik Jonas
Mein ganzes Leben lang habe ich gezeichnet und gemalt, fast mein ganzes Leben lang geschrieben: Tagebücher, Kalender und ungezählte Briefe (die ich natürlich auch mit Zeichnungen versehen habe). Wenn sich die Frage nach der wahren Profession allerdings daran bemisst, was leichter von der Hand geht, dann bin ich wohl doch Zeichner. Obwohl mir das Geschichten-Erfinden so einen Spaß macht. Wenn ich mal reinkomme …
Als mich der Tulipan Verlag mit der Bitte nach einer Hunde-Geschichte anrief, habe ich folgerichtig erst mal zu einem weichen Bleistift gegriffen und mir die einzelnen Hunderassen vorgenommen, und zwar in ihrer echten, hundemäßigen Gestalt: grimmige Boxer, haarige Bobtails, niedliche Yorkshire Terrier, missmutige Bulldoggen und klapprige Windhunde. Ich habe ganze Skizzenbücher mit ihnen gefüllt, auf Kassenbons und billigstes Kopierpapier gezeichnet und natürlich in meinen mich ständig begleitenden Wochenkalender. Profitiert habe ich nicht unerheblich davon, dass es in unserer Familie immer Hunde gab, nämlich fast ausnahmslos Deutsche Bracken.
Es gab verängstigte Deutsche Bracken, superaggressive Deutsche Bracken, saudoofe Deutsche Bracken und nicht zuletzt sehr gebärfreudige Deutsche Bracken. Alle waren total lieb, bis auf den superaggressiven Kollegen vielleicht, der hat mir mal die halbe Augenbraue abgebissen. Sonst war er aber auch irgendwie OK. Jedenfalls habe ich mich weniger für ihn (ich nenne keine Namen) geschämt, weil er beim Gassigehen jeden anderen Vierbeiner/Postboten/Bauern anfiel, als für den letzten Hund in dieser Ahnengalerie (ich nenne keine Namen), der selbst vor klitzekleinsten Katzen (von Hunden ganz zu schweigen) jaulend und mit eingezogenem Schwanz Reißaus nahm, sich dann aber, wenn die sichere Gartentür geschlossen war, aufführte wie superdicke Hose (don’t fuck with me, buddy).
Nach den langen Studien fühlte ich mich einigermaßen stilsicher, jetzt konnte es an die Geschichte gehen. Klar war Hunde, klar war Hotel, und der kleine Hund sollte irgendwie alleine dort sein, also musste er zurückgelassen werden. Von seinen eigenen Eltern vergessen, na danke. Der ganze große Rest: wabernder Nebel.
Ich teile mir mit ein paar netten Kolleginnen und Kollegen, allesamt der bildenden Kunst verschrieben, ein Atelier, das in einer sonnendurchfluteten Fabriketage in Neukölln liegt. Wenn ich male oder zeichne, Schnipsel ausschneide und klebe, gleicht mein Arbeitsplatz einer Müllhalde, was mich in den Wahnsinn treibt. Ständig räume ich auf, doch im Handumdrehen ist die alte Unordnung wieder hergestellt. Offenbar muss es so sein … Wenn ich aber an einer Geschichte sitze, herrscht ein solches Durcheinander an Ideen, Strängen, Verläufen in meinem Kopf, dass der Arbeitsplatz als Ausgleich tipptopp aufgeräumt ist. Zwei leere Tische, ein Stoß Papier, Tastatur, Computer, Bleistift. Nur an der Wand ein (zunehmend unübersichtliches) Storyboard.
In dieser Phase habe ich viel zu Hause in der leeren Wohnung gearbeitet, da die armen Kollegen mich schon störten, wenn ihnen nur ein Radiergummi herunterfiel. Das sah dann oft so aus: Ich schreibe einen Satz, ich schau aus dem Fenster, ich geh ins Wohnzimmer, ich geh in die Küche, ich schreibe einen Satz (oder lösche ihn), ich gehe ins Kinderzimmer, ich schreibe einen Satz … und dann bin ich an manchen Tagen da reingeglitten. Und immer weniger in der Wohnung herumspaziert. Und es hat plötzlich richtig Spaß gemacht! (Vorher ganz bestimmt nicht.) An manchen Tagen war ich aber erfolglos auf der Suche.
Ich habe trotzdem gemerkt, dass es ein großer Vorteil sein kann, Autor und Illustrator in Personalunion zu sein: Figuren und deren Charakter entwickeln sich schon während des Zeichnens und finden ihren Platz in der Geschichte. Beim Schreiben kann ich sie dann an die Orte führen, die sich schon beim Skizzieren aufgetan haben, und die ich unbedingt zeigen will: einen vollgestellten Dachboden, einen Aufzug mit quietschenden Gittern, die „Präsidenten-Suite“ in ihrer heruntergekommenen Pracht.
Im Nachhinein wundert es mich nicht, dass ich so manchen Kilometer durch die Wohnung und das Viertel gelaufen bin. Der ganze Prozess ist im ständigen Fluss, und ich bin der Mittler zwischen beiden Positionen. Andererseits empfand ich es als Privileg, mir den kleinen Hund (der Held der Geschichte) schon während der Schreibphase betrachten zu können. („Bist du wirklich so mutig?“)
Die Figurenentwicklung lief immer gleich: die ersten Skizzen noch recht nah an der Natur, dann nach und nach abgespeckt. Die Schnauze ein bisschen kürzer, die Ohren ein bisschen runder, der Bauch ein bisschen dicker. Es sind manchmal nur winzige Details, die den Charme einer Figur ausmachen. Als der Text schließlich stand, begann die Umsetzung der Skizzen, die Arbeit an den Bildern, das reine Handwerk des Illustrators. Ein monatelanger Prozess und gleichzeitig „a gmahde Wiesn“ (Bayerisch für „Heimspiel“); vermutlich bin ich doch eher Zeichner …