In Echtzeit

Digitale Formate für Autor*innenlesungen

© Lenka Grossmannova

Von Rike Reiniger

Online-Autor*innenlesungen sind etwas anderes als Begegnungen in Präsenz – so viel war schon kurz nach Beginn der Pandemie klar. Aber welche Bedingungen lassen eine digitale Lesung inspirierend werden? Was sind die besten künstlerischen Formate und die notwendigen technischen Voraussetzungen für Online-Veranstaltungen?

Dem wollten wir als Friedrich-Bödecker-Kreis Berlin mit dem Projekt „In Echtzeit“ nachgehen. Grundidee war, Leseformate für Konferenztools zu entwickeln, bei denen die digitale Kopräsenz von Autor*in und Kindern mit vorproduzierten digitalen Inhalten kombiniert wird. Im Rahmen des Projekts konnten sich Autor*innen und Medienkünstler*innen überregional zusammenfinden, um mit solchen Formaten zu experimentieren.

Als Einstieg bekamen alle Beteiligten eine thematische Einführung von Dorit Linke, die als eine von wenigen Kolleg*innen unabhängig von der Pandemie schon seit 2019 online Lesungen anbietet. Außerdem standen ein Technik-Pool und ein Ansprechpartner für technischen Support zur Verfügung. Die folgenden Arbeitsprozesse in den einzelnen Teams verliefen sehr unterschiedlich. Zum Teil konnten sich Autor*in und Medienkünstler*in auf eine Umsetzung verständigen, zum Teil waren es längere kreative Auseinandersetzungen, und in einem Fall entsprachen die Erwartungen des Autors nicht den Möglichkeiten des Projekts, sodass der Kollege leider ausgestiegen ist.

Die Ergebnisse der medienkünstlerischen Arbeiten sind so bunt wie die Bücher, um die es geht: atmosphärische Experimentalfilme, Tonaufnahmen mit animierten Illustrationen, ein Zeichentrickfilm, ein interaktives digitales Spiel, filmisch präsentierte optische Täuschungen, Bildsequenzen zu Photoshop-Tricks, Motion-Graphics als Hintergrundbilder u.v.a.m. Die digitalen Inhalte wurden von den Autor*innen dramaturgisch in ihre Lesungen eingebaut. Einige stellen etwa einen Film als Einstieg an den Anfang ihrer Lesung, andere lesen parallel zu den animierten Illustrationen oder spielen Bildsequenzen ein, um Inhalte zu vertiefen, wieder andere nutzen Hintergrundbilder zur Verdeutlichung von Erzählebenen. Die Hälfte der so entwickelten Lesungen wurde in der Kreuzberger Hunsrück-Grundschule präsentiert, die andere Hälfte an Sekundarschulen, Gymnasien und Oberstufenzentren in anderen Bezirken.

Lesung mit Steven Nowacki und Rike Reiniger

Bei den Veranstaltungen konnten wir wertvolle Erfahrungen sammeln, insbesondere wenn Überraschungen passiert sind. Dabei haben wir u.a. gelernt: Für die Einbindung der digitalen Inhalte in ein Konferenztool gibt es verschiedene Möglichkeiten. Am einfachsten geht es anscheinend über das Aktivieren der Bildschirm-teilen-Funktion, was allerdings etwas holprig wirkt, und der/die Autor*in selbst ist dann nur auf der kleinen Kachel zu sehen. Verwendung fanden deshalb auch die Präsentations-Software Keynote und die Streaming-Software OBS. Vielen Autor*innen erschien es kompliziert, sich da einzuarbeiten, aber insbesondere die Beschäftigung mit OBS lohnt sich. Hier kann der/die Autor*in sich etwa mit Greenscreen-Technik eine eigene visuelle Umgebung für das Buch schaffen.

Die konkrete technische Vorbereitung für die Veranstaltung ist immer komplizierter als erhofft. Schulen nutzen unterschiedliche Konferenztools. Microsoft Teams, BigBlueButton (BBB) oder Zoom haben alle etwas andere Funktionen. Dass die Kinder vor Ungeduld mit den Füßen scharren, während der Lehrer vorne an der Technik verzweifelt, sollte nicht riskiert werden. Darum muss vorher unter Originalbedingungen ein Technikcheck erfolgen.

Technikcheck in der Hunsrück-Grundschule

Der Aufbau einer Online-Lesung unterscheidet sich von dem der Präsenzlesung. Kommunikation über ein Konferenztool z.B. verleitet dazu, mehr zu reden, als die Kinder interessiert. Weil der/die Autor*in die Stimmung in der Klasse digital weniger gut einschätzen kann, spielt hier die Lehrperson eine wichtige Rolle als Vermittlerin. Ein weiterer Unterschied ist die Notwendigkeit, den Kindern den live-Aspekt der Veranstaltung erlebbar zu machen. Sie sitzen eben nicht vor einem Film, sondern der/die Autor*in ist jetzt in diesem Moment für sie da, und ihre Beiträge und Reaktionen sind von Belang. Das wird durch interaktive Momente in der Lesung deutlich.

Lesung mit Christina Erbertz

Manche Autor*innen kommen mit den Kindern ins Gespräch oder haben digitale Spiele vorbereitet, manche regen zum Malen von
Bildern an oder beziehen Gegenstände ein, die von der Lehrperson im Klassenraum vorbereitet werden, z.B. Objekte, die für einzelne Abschnitte der Geschichte wichtig sind. Wenn die Lesung etwa alle zehn Minuten solche interaktiven Momente enthält, können sich auch kleinere Kinder
gut auf eine Online-Veranstaltung einlassen.

Diese ersten Erfahrungen bilden nur einen Teil der Erlebnisse ab, der vielleicht ja neugierig aufs Weiterdenken macht. Für uns ist klar, dass sich digitale Lesungen als ein eigenes künstlerisches live-Format neben Präsenz-Lesungen entwickeln werden. Darauf sind wir gespannt!



„In Echtzeit: Hybride Literaturvermittlung“ wurde vom Deutschen Literaturfonds im Rahmen von Neustart Kultur gefördert. Weitere Infos zum Projekt und den Beteiligten sind hier zu finden.