Berlin, im November 2020
An den
Ausschuss für Kulturelle Angelegenheiten
des Abgeordnetenhauses Berlin
und die Senatsverwaltung für Kultur und Europa
Die Berliner Spreeautoren (ein Zusammenschluss von über hundert in Berlin lebenden Kinderbuchschaffenden) und das Literaturhaus Berlin regen hiermit nachdrücklich die Einführung eines Arbeitsstipendiums an, das sich ausschließlich an Berliner Kinder- und JugendbuchautorInnen richtet. Am 3. Mai 2019 ging dazu ein Schreiben an Dr. Lederer, in dessen Folge es zu zwei Treffen mit der Senatsverwaltung für Kultur und Europa kam. Im Folgenden möchten wir die Argumente, die die Dringlichkeit einer Vergabe von Arbeitsstipendien an KJL-AutorInnen begründen, noch einmal zusammenfassen:
– Kinder- und JugendbuchautorInnen leisten in Deutschland mit ihren Lesungen und Workshops an Schulen, in Bibliotheken und auf Festivals den weitaus größten außerschulischen Beitrag zur Leseförderung. Mit ihren Auftritten begeistern sie junge Menschen fürs Lesen, bringen ihnen Literatur näher und vermitteln Einblicke in das Berufsfeld Kultur.
– Doch nicht nur das: Viele der AutorInnen leiten SchülerInnen auch zum kreativen Schreiben an, ein wichtiger Grundpfeiler, um Sprachkompetenz in jeglicher Form bei Kindern und Jugendlichen zu verbessern und sie damit für elementare Grundfertigkeiten, deren Fehlen von Ausbildern und Arbeitgebern zunehmend beklagt wird, im späteren Berufsalltag zu rüsten. (Vgl. hierzu Kirsten Boies Aufruf „Jedes Kind muss lesen lernen!“)
– Deutschsprachige KinderbuchautorInnen bilden in vielen ihrer Texte die Lebenswirklichkeit, den Alltag und die herrschenden Konventionen unserer Gesellschaft ab, also jener Familien, die hier und heute leben. Sie bieten mit ihren Büchern direkte Diskussionsanlässe und Identifikationsmöglichkeiten für Kinder, die in unserem Land aufwachsen. Diese ständige Erneuerung und Anpassung an die sich rasant verändernden Lebensumstände Heranwachsender ist in der modernen Kinder- und Jugendliteratur unverzichtbar, um die Zielgruppe inhaltlich immer wieder neu anzusprechen und nachhaltig fürs Lesen zu begeistern. Die Förderung des Schreibens zeitgenössischer Texte für Kinder- und Jugendliche stellt somit einen integralen Bestandteil langfristiger Leseförderung dar: Ohne neue Texte geht es nicht.
– Kinder sind die LeserInnen von morgen. Wer früh die Lust am Lesen für sich entdeckt, wird auch später Interesse an Literatur haben und den eigenen Horizont erweitern. Denn über das Lesen erwerben Kinder auch viele andere Kompetenzen. Es steigert Konzentration, Empathie, Vorstellungskraft und die eigene Fantasie gleichermaßen wie die Sprach- und Rechtschreibfähigkeiten.
– In Deutschland verdienen Kinder- und JugendbuchautorInnen sehr viel weniger als ihre KollegInnen in der Erwachsenenbelletristik. (Aktuell hat sich durch den Wegfall von Lesungen in Pandemiezeiten die finanzielle Lage von KJL-AutorInnen noch einmal verschärft.) Im Durchschnitt, so ergab eine Umfrage unter den Spreeautoren, zahlen Verlage ein Garantiehonorar von 3000 € pro Buch. Für Manuskripte, an denen in der Regel monatelang gearbeitet wird und die besondere Kriterien erfüllen müssen, um von Kindern oder Jugendlichen gern gelesen zu werden. Es handelt sich also in den seltensten Fällen um “leichte Literatur”, die schneller zu schreiben ist als Romane für Erwachsene. Dennoch sind die Honorare im Kinderbuch, wie so oft in der Kinderkultur, niedriger. Die von Verlagen gezahlten Vorschüsse sowie Verkaufsbeteiligungen für Kinder- und Jugendbücher stehen in keinem Verhältnis zum Arbeitsaufwand, sodass AutorInnen in diesem Bereich meist nicht ohne zusätzliche Einnahmen oder Unterstützung auskommen.
– Zudem haben es die Werke von deutschen Kinder- und JugendbuchautorInnen auf dem Markt schwerer, da die aus dem Ausland eingekauften erfolgreichen Lizenzen als „risikoärmere“ Titel von den Verlagen mit aufwändigen Marketingmaßnahmen unterstützt werden, während die heimischen Titel ihren Weg zwischen den derzeit ca. 9.000 Neuerscheinungen im Jahr meist selbst finden müssen.
Wir sehen die Einrichtung von Arbeitsstipendien im Bereich Kinder- und Jugendliteratur also als eine wichtige Investition für die Lese- und Schreibkompetenz zukünftiger Generationen. Wenn AutorInnen hierzulande weiterhin regelmäßig zeitgenössische und für junge Menschen interessante Literatur produzieren sollen, brauchen sie aus den oben genannten Gründen jede mögliche Unterstützung.
Köln hat diesem Fakt bereits mit der Neueinrichtung von zwei Stipendien exklusiv für Kinder- und JugendbuchautorInnen entsprochen, und auch der Hamburger Senat vergibt seit 2020 neben anderen Arbeitsstipendien einen Literaturförderpreis speziell für Kinder- und JugendbuchautorInnen. Wir hoffen sehr, dass Berlin sich an diesen positiven Vorbildern orientieren wird, zumal in der Hauptstadt sehr viel mehr Kinderbuchschaffende leben, die sich seit Jahren in der Leseförderung engagieren.
Zur Organisation der notwendigen Arbeit einer Jury, die Anträge auf KJL-Arbeitsstipendien prüft, hat das Literaturhaus Berlin seine Mitarbeit angeboten – aus Sicht der Spreeautoren der ideale Partner, der in diesem Bereich über eine umfassende Expertise verfügt, in Berlin und der gesamten Kinderbuchbranche hohes Ansehen genießt und dabei absolut neutral ist.
Die Kinder- und JugendbuchautorInnen Berlins benötigen für dieses Anliegen dringend Ihre volle Unterstützung!
Mit freundlichen Grüßen
Salah Naoura und Katharina Reschke (Spreeautoren)
Stefanie Ericke-Keidtel (Literaturhaus Berlin)
www.spreeautoren.de
www.literaturhaus-berlin.de
Großartig! Danke, dass Ihr das gemacht habt, Salah, Katharina und Stefanie.
Was mir beim Lesen außer „Yeah!“, „Das ist ja auch längst überfällig“, „Wie toll, dass die das einfach machen!“, auffiel, ist, dass der Brief sich sehr auf die bildende, pädagogische Wirkung der KJL bezieht. Ich persönlich würde die KJL aber IMMER IMMER IMMER unter ihrem literarischem, künstlerischen Wert betrachten wollen – so sind Literaturstipendien von ihrem Wesen her, als Künstler*innenförderung/Schriftsteller*innenförderung, ja auch gedacht.
Gerade auch, weil die deutsche KJl ja oft das Problem der Abgrenzung hat, von der Pädagogik eingemeindet wird und wir (ich jedenfalls never ever!) nicht für Deutschlehrer*innen schreiben. In meinen Augen macht diese Fokussierung die KJL kleiner, als sie ist – so ein bisschen zur Dienstleisterin der Schulbildung (brrr). Ich würde ja behaupten, sie ist das Gegenteil! Herzensbildung. Literatur kann immer mehr als Deutschunterricht… das nur so meine Gedanken, die beim Lesen kamen…zu Eurem sonst großartigen Vorstoß.